Pressemitteilung der Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten (Hamburger Signal) e.V. zum Thema: Stuttgart 21
Ich schließe mich wie immer Copperhead an und sage
Lesen. Denken. Teilen.
LG Sannyas
P R E S S E M I T T E I L U N G
Zu dem um das Bahnprojekt „Stuttgart 21“ durch staatliche Organe mit rechtswidrigem Handeln, Täuschen, Tricksen und Tarnen eskalierten Konflikt anlässlich der gestern Nacht gewaltsam durchgesetzten vorzeitigen Fällung von Bäumen erklären wir Kritische Folgendes:
„Wer ist das Volk? Wer hat die höchste Legitimation?“
Polizei hat in einer parlamentarischen Demokratie Instrumentencharakter. Das ist auch gut so! Das Primat der Politik sollte gegenüber der Polizei ohne Einschränkung ausgeübt werden können. Das gehört zum Wesen einer funktionierenden Republik.
Das bedeutet für die Eskalation durch die Polizei, die ihre Möglichkeiten gegenüber SchülerInnen, RentnerInnen und allen anderen den Schlosspark besetzt haltenden DemonstrantInnen von vorgestern, vom Donnerstag, 30. September auf den 1. Oktober 2010, vollkommen unverhältnismäßig wahrnahm:
Die unmittelbare Verantwortung für diesen rechtswidrig durchgeführten Polizeieinsatz liegt bei der Politik der Stadt Stuttgart und (mehr noch) dem Innenministerium des Landes Baden-Württemberg. Das entbindet jedoch die eingesetzten PolizeibeamtInnen selbst in keinster Weise davon, Recht und Gesetze in weit höherem Maße zu beachten als ihr Gegenüber sowie insbesondere die Verhältnismäßigkeit der (Einsatz-)Mittel zu achten! Die PolizeibeamtInnen haben es mit ihrer staatlichen Gewaltlizenz sogar zu 100 Prozent anzuwenden.
Dass dies in so eklatanter Weise in Form und konkretem Handeln nicht geschehen ist, wirft ein erschreckendes Licht auf den Geist in der Polizei Baden-Württembergs. Nicht ohne Grund beendete Prof. Dr. Thomas Feltes seine Tätigkeit als Rektor (!) an der F(l)achhochschule Ba-Wü´s, weil es kaum noch auszuhalten war, was er aus seinem Klientel – dem angehenden gehobenen Dienst (Kommissare aufwärts) Ba-Wü´s und den Ministerialschranzen erlebte -, um seitdem einer Tätigkeit auf einem kriminologischen Lehrstuhl nachzugehen.
Wasserwerfer gegen 15-jährige Schülerinnen, Theologinnen mit deren Betgruppe wegzuspülen, einen jungen Mann mit dem Wasserwerfer vom Baum zu schießen, einem Bürger mit dem Wasserwerfer ein Auge auszuschießen, Pfefferspray unter 2 anderem auf große Distanz gegen Menschen einzusetzen, die auf Grund der großen Distanz und des lauten Umfeldes die dreimalige „Warnung“ (so sie überhaupt ausgesprochen worden ist!) vor Verwendung dieses Einsatzmittels gar nicht wahrnehmen konnten und so weiter und so fort... – Das alles inmitten der Innenstadt Stuttgarts, zwanzig Jahre nach Abschaffen der zweiten Diktatur des letzten Jahrhunderts auf deutschem Boden und aus Anlass des profanen Neubaus eines Bahnhofs (!), auf dem Schlossplatz. Ja, sind feudale Verhältnisse am Wiederauferstehen? Wahrlich: vollkommen unterirdisch. Von der verantwortlichen Politik wie von den eingesetzten Polizeikräften.
Gibt es Strafanzeigen gegen den Bordschützen des WaWe, der einen jungen Mann aus dem Baum schoss? Wegen welchen Tatverdachts wird ermittelt? Oder gibt es etwa keine Strafanzeige? Obwohl alle PolizeibeamtInnen nach § 163 StPO verpflichtet sind, jedem Verdacht auf eine Straftat nachzugehen. Oder gegen den Bordschützen des WaWe, der einem anderen Mann ein Auge ausschoss? Oder gibt es auch dazu immer noch keine Strafanzeige? Von Amts wegen!
Die Verfahren – würden überhaupt welche eingeleitet – würden vermutlich wieder wie das Horneburger Schießen ausgehen. Nach wie vor verweigern die Verantwortlichen für die die „staatliche“ Gewalt ausübenden PolizeibeamtInnen die Kennzeichnungspflicht. Nach wie vor verweigern die Verantwortlichen angesichts versagender Dienst- und Fachaufsicht die erforderlichen Instrumente wie Ombudsleute oder unabhängige Polizeibeauftragte analog zu Datenschutzbeauftragten, Wehrbeauftragten usw., um unter anderem gegen Polizeiübergriffe in der Bundesrepublik endlich eine effektive Kontrolle herzustellen.
So nimmt es kein Wunder, dass die Entscheidungsträger heute noch die Version der eingesetzten Polizeiführer wiederkäuen. Dagegen tönen nach solchen Anlässen aber immer wieder und immer lauter die Bemühungen nach Strafrechtsverschärfungen wegen angeblich massenhafter Gewalt gegen PolizeibeamteInnen.
Bis jetzt ist nicht ein Fall in Stuttgart bekannt geworden, dass ein(e) Polizeibeamtin(er) remonstriert hätte. Und dies bei in Serie festzustellenden rechtswidrigen polizeilichen Übergriffen und bei Verantwortlichen für ein Gesamteinsatzkonzept, dass in Kenntnis um die soziologische Gruppe (SchülerInnen), die zu räumen gewesen ist, genau wissen musste, dass schon der martialische Aufmarsch unverhältnismäßig (= Verfassungsrang) war. Man hat mindestens billigend diese Eskalation in Kauf genommen.
Vor dem Hintergrund solcher Tatsachen sind die üblichen Statements der Funktionäre großer Polizeigewerkschaften – zum Beispiel Rainer Wendt, DPolG – nicht erschütternd, sondern spiegeln die bürgerferne Feistigkeit und Hemdsärmeligkeit von BeamtInnen ausgesprochen authentisch wider. Herr Wendt äußerte glasklar, dass der gesamte Einsatz der Polizei verhältnis- wie rechtmäßig war. Gewalt wäre alleine von den DemonstrantInnen ausgegangen usw. usf. ... – Man könnte angesichts der im Widerspruch dazu festzustellenden Tatsachen glauben, das Propagandaministerium eines Unrechtsstaates zu hören. Uns Kritische erreichten Anrufe nach Herrn Wendts Interview-Auftritt gestern Vormittag bei N 24, wonach ZuschauerInnen eigentlich nur darauf warteten, wann der rechte Arm bei ihm nach oben geht.
Die drei großen Polizeigewerkschaften frönen weiterhin auch bei „Stuttgart 21“ ihrem Selbstverständnis, die „bessere Polizeiführung“ darzustellen, anstatt die Bürgerrechte vonPolizeibeamtInnen und BürgerInnen zu vertreten. Und das vor dem Hintergrund, dass die Einsatzleitung auch noch das vom BVerfGer zwingend vorgegebene Kooperationsgebot mit Füßen trat, indem sie das von diesen angebotene und gesuchte Gespräch mit Demo-Leitern verweigerte.
Es gibt noch ein grundsätzliches „Phänomen“ der traurigen Sonderklasse, das bei diesem Idiotentest des Staates, wonach DemonstrantInnen massiv Gewalt auf PolizeibeamtInnen ausgeübt hätten, von denen „nur“ sechs „verletzt“ worden wären, hingegen mehr als fünfzig mal so viele zivile BürgerInnen: Den sogenannten Entscheidern in Parlamenten und Regierungen ist überhaupt nicht klar, was für eine binnenkulturelle Deformierung in den Polizeien längst Raum gegriffen hat. Sie lassen sich von den Einflüsterungen geaalt auftretender Angehöriger des höheren Dienstes blenden und die in fast jeder Bundestagsfraktion vorhandenen Corpsgeistsänger aus dem Bundeskriminalamt und Länderpolizeien tun ihr Übriges bei dieser gegen die Bürgerinteressen gerichteten Lobbyarbeit. Näheres siehe nur beispielhaft, im besonderen den „Brandbrief“, unter: http://www.kritische-polizisten.de/innenpolitik_hamburg/index.htm
Jedenfalls haben diese DemonstrantInnen am eigenen Leibe die „Dienstleistungsqualität“ „ihrer Polizei“ in einer Art und Weise erlebt, wie es aktuell in Hamburgs Straßen (fast) an der Tagesordnung ist. Ziellos Pfefferspray auf demonstrierende Gruppen zu sprühen, Verletzte in mehreren Hundertschaftsstärken zu produzieren und dann noch Desinformation ggü. Öffentlichkeit und Parlamenten zu betreiben, wonach angeblich Pflastersteine auf PolizeibeamtInnen geworfen worden seien.
Zu der „verantwortlichen“ Politik gehört im Übrigen auch die Bundeskanzlerin, die in der DDR immerhin als FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda an der Elite-Universität der DDR ihre Doktorarbeit abliefern durfte. Frau Dr. Angela Dorothea Merkel gehört zu den „Verantwortlichen“ des bürgerrechtlichen GAU in Stuttgart, weil Bauherr des Bahnhofs die Deutsche Bahn AG ist. Da der Bund alle Anteile hält und kein Handel damit stattfindet, handelt es sich aufgrund der Eigentümerstruktur um ein privatrechtlich organisiertes Staatsunternehmen. Gewissermaßen ein VEB.
Selbstverständlich würde der Vorstandsvorsitzende Herr Grube die Bagger, Holzfäller etc. abbestellen, wenn der Mehrheitseigner des „Bauherrn“ (Bundesrepublik Deutschland) dies über seine Aufsichtsratsmitglieder verlangen würde. Aber Frau Merkel feuert ja noch an... – Auch hier versagt im übrigen die Mehrheit im Deutschen Bundestag!
Dabei ist Frau Merkel eine klassische Vertreterin der Wendehälse. Nicht bloß bei dem Anschluss der DDR an die Bundesrepublik. Man denke nur an den Leipziger Bundesparteitag der CDU, als sie noch einen ziemlich reinen neoliberalen Wirtschaftsansatz vertrat während sie noch 10 Jahre vorher ihre erbrachten Fortschritte in der Vertiefung marxistisch-leninistischer Kenntnisse nachweisen konnte, um überhaupt an der Akademie der Wissenschaften zu studieren und dann zu promovieren. Weitere sieben Jahre später exekutierte sie dann als Kanzlerin mit der SPD vier lange Jahre quasi sozialdemokratische Wirtschafts- und Finanzpolitik. – Warum wendet Frau Dr. Merkel nicht auch zu „Stuttgart 21“ ihren Hals?!? Sie hat doch Vorzeigequalitäten in dieser Übung...
Diese Bezüge zur Bundespolitik gehören in den Zusammenhang mit „Stuttgart 21“ gestellt. Nicht weil wir Kritische PolizeibeamtInnen uns aus dem Anti-AKW-Zusammenhang 1986 entwickelten, sondern weil wir bereits einmal in der Bundesrepublik Deutschland ähnlich hypertrophe Bauplatzerrichtungen erlebten: Berittene Polizei und andere kloppten die Bauplätze des AKW Brokdorf (Innenminister Dr. Uwe Barschel, später Badewannentod in Zürich), in Grohnde (Ministerpräsident Albrecht, dessen Tochter Frau Ursula van der Leyen, jetzt von einem Ministerium ins andere hoppt und soziale Kälte pur versprüht) und anderswo frei.
„Stuttgart 21“ ist ein weiteres Beispiel für einen in viel zu weiten Teilen sich entkernenden Rechtsstaat. Die BürgerInnen in Ba-Wü vertrauten darauf, dass die Gremien, deren Mitglieder sie und ihre Interessen repräsentieren sollen, anständig arbeiten. Den Wenigsten ist klar, dass fast überall unsichtbare Stempel wie „BDI“, „Handwerkskammer“ oder irgendwelche Baufirmen draufstehen. Nach wie vor wird die international von der BRD ratifizierte Abgeordnetenbestechung nicht in nationales Recht umgesetzt. Warum denn wohl nicht?!? Klar: Abgeordnete kann man kaufen, das Volk nicht. Und Abgeordnete wurden und werden gekauft.
„Stuttgart 21“ ist auch ein weiteres Beispiel dafür, wie unsere sogenannte „politische Klasse“, so wie die finanz- und wirtschaftspolitische Klasse, in ihrer Gier kaum noch Grenzen kennt. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel.
Wir wünschen den DemonstrantInnen die innere Kraft, das Durchhaltevermögen und innere Ruhe, weiterhin friedlich zu demonstrieren, um den von ihren Steuergeldern bezahlten staatlichen Rüpeln zu trotzen und letztlich doch den verdienten Erfolg zu bekommen.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Wüppesahl, für den Bundesvorstand
Letzter Eintrag
vor 6 Jahren
2 Kommentare:
Unabhängig ob für oder gegen Stuttgart 21 hat es mich erschüttert zu sehen wie in Berlin die Feierlichkeiten zu 20 Jahren Deutsche Einheit vorbereitet wurden und in Stuttgart, wegen einem Bauvorhaben, der Polizeistaat ein Gesicht zeigt das zur Fratze mutiert. Hätten die DDR Oberen vor 20 Jahren mit solchen Mitteln ihre Macht durchgesetzt hätte es keine, so hoch gepriesene, friedliche Revolution gegeben sondern Blutvergießen und Opfer auf beiden Seiten. Gewalt hat nur immer wieder Gewalt zu folge und wieso die Politikverdrossenheit mehr und mehr um sich greift muss unter solchen Umständen auch nicht wundern. Heute hat ein pensionierter Richter, der rein Zufällig im Schlosspark war, Dienstaufsichtsbeschwerde gestellt. Wenigstens ein kleines Aufbegehren mit der Hoffnung um Aufklärung der Vorfälle.
Die waren Schuldigen solcher Aktionen sitzen in den Ministerien und glauben mit einem Jurastudium zu wissen was Recht ist. Wenn dem so wäre würde es in unserem Staat und unserer Gesellschaft mehr Recht geben, für Kinder auf Bildung, für die Eltern auf Arbeit, die Alten auf Pflege und für alle ein Leben in Frieden und Einklang in einem der reichsten Länder der Erde. Wir sind reich, hier muss nur die Frage gestattet sein was wir mit unserem Reichtum tun? Wer profitiert von unserem Reichtum? Viele nur nicht die welche es brauchen und verdienen. Die Kinder lassen wir verblöden denn für Bildung ist kein Geld da, wer Geld hat schickt sie auf eine Privatschule. Die Erwachsenen werden ausgebeutet oder haben keine Arbeit, normalität gibt es kaum noch. Die Renter welche alt und hilfsbedürftig sind verwahrlosen in den Pflegeeinrichtungen dieses ach so reichen Landes. Es vergeht kein Tag wo es mich nicht wundert warum die Menschen nicht auf die Straßen gehen und ihrem Unmut Luft machen. Meine Angst ist das die meisten schon zu satt, zu zufrieden oder zu dumm sind um sich noch zu engagieren.
Da die Massen nicht oder nur sehr schwer zu mobilisieren sind können nur wir alle, jeder auf seine Art und mit seinen Mitteln dagegen angehen. Viele Menschen, an vielen Orten, können die Welt verändern, daran glauben und danach handeln. Wenn wir das nicht tun resignieren wir und haben aufgegeben.
Lieber Gruß
Susanne und Danke für das einstellen dieses Beitrags, dem ich in vielem Zustimmen kann.
Liebe Susanne, vielen Dank, dass Du deine Gedanken niedergeschrieben hast. Ich finde es auch ganz schrecklich, was da in Stuttgart passiert oder vielmehr, was hier generell grade passiert. Schritt für schritt werden wir immer mehr entmündigt und überwacht. Da es immer nur eine kleine Freiheitsberaubung auf einmal ist, merken wir garnicht, dass wir längst in einem Überwachungsstaat leben. Und irgendwann, wenns zu spät ist, werden wir alle sagen, wir wissen nicht wie das passieren konnte.
Ich befürchte es dauert keine 5 Jahre mehr und wir haben sowas wie einen Bürgerkrieg :( Hat jemand das mit deb Harz 4 Anträgen gelesen? Was die Frau für angaben machen mußte. Wieviele Freunde sie hat, was sie den ganzen Tag über macht usw. Das wird schon bald die Regel sein, wenns so weiter geht.
Neulich hatte ich ein intressantes Gespräch. Mein Bekannter meinte, der Grund, warum die Waffengesetze in den USA und auch bald hier so verschärft werden, dient nicht unserm Schutz, sondern dient dazu, dass wir wehrlos sind und nicht aufbegehren können, wenn die da oben es zu heftig treiben. Erst war ich total verärgert, weil ich total gegen Waffen und gegen Gewalt bin, aber mittlerweile bin ich echt nachdenklich geworden.
Aber als nächstes gibts mal wieder ein nettes Tutorial, sonst wird der Blog noch vom Seifenblog zum Katzen/Politblog *LOL*
Bis morgen, muß jetzt in die Falle.
LG Sannyas
Kommentar veröffentlichen